From: | Kai Bernau |
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Subject: | nach langer zeit |
Date: | March 24, 2005 11:48:47 AM GMT+01:00 |
To: | Bernd Kuchenbeiser |
liebe kuchenbeisers,
nach langer stille eindlich mal wieder eine kleine meldung aus den haag, und dann auch gleich mit einer bitte. für meine diplomarbeit wollte ich sie bitten, wenn sie können und mögen, ein wenig was hierzu zu schreiben, philosophieren, anekdotieren etc.:
- gibt es neutralität in (grafik)design, in der typografie?
- was ist es, und wo?
- was ist neutral?
- ist neutralität in der gestaltung gut?
ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt sagen soll, was das thema meiner diplomarbeit ist, weil das unter umständen die antwort beeinflussen würde...
ich hoffe es geht ihnen ganz hervorragend und man ärgert siee nicht zu sehr mit sponsorenlogos oder ähnlichem visuellen unrat (wie ich ihn hier in der schmutzigen akademie täglich ertragen muss).
es gibt gerade dieser tage hervorragende nachrichten, ich bin soeben (naja: letzten freitag) für den type&media schriftgestaltungs-master zugelassen worden. freue mich. nicht übers hierbleiben müssen, aber übers hierbleiben dürfen.
haben sie das schon mitbekommen, rune grammofon lässt sich nicht mehr von ecm vertreiben! was eine frechheit, und wie schade: die letzten runes sind mal wieder zum herzherausreißen schön.
<ironie> ich freue mich immer wieder, in ihrem weblog zu lesen </ironie>, beruhigend zu wissen, das es noch jemanden gibt, der da noch weniger eifrig ist als wir :-)
anbei finden sie bitte zur wohlwollenden begutachtung mein "kontrollkaninchen", das leider bislang nur kleinbuchstaben enthält, aber ihnen sicher besser gefallen wird als die letze.
fröhliche ostern
ihr kai bernau
From: | Bernd Kuchenbeiser |
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Subject: | Re: nach langer zeit |
Date: | March 25, 2005 3:59:08 PM GMT+01:00 |
To: | Kai Bernau |
Lieber Herr Bernau,
eine Antwort in Groß- und Kleinbuchstaben zu Ihren erschreckend gmünderischen Fragen ;-)
Um dazu auszuführen, oder gar eine Vernünftiges zu sagen, bräuchte es - wie in der Philosophie - erst eine Übereinkunft was die aufgerufenen Begrifflichkeiten im nicht bekannten Kontext (Thema) Ihrer Frage bedeuten. Wenn ich Ihre Fragen neu ordne - etwa in dieser Art:
- - Was ist "neutral"?
- - Gibt es "Neutralität" im Design, in der Typographie?
- - ("Was ist es, und wo?" - versteh ich nicht - Klammer ich also mal aus, äh, ein)
- - (hier müssten wir noch einfügen:) Was ist "gut"?
- - Ist "Neutralität" in der Gestaltung "gut"?
dann könnte ich zu einer (ziemlich selbstreferentiellen) Aussage kommen, die in erster Linie darüber Auskunft gäbe, wie ich "neutral" und "gut" definiere und das Definierte in Beziehung zu "Design" bzw. "Typografie" setze. Nicht unbedingt so interessant.
Kurz und gut: Um anständig auf Ihre Frage antworten zu können, brauche ich *Ihre* Definitionen von "neutral" und "gut" - besser noch: einen Kontext (... nur, wenn Sie mirs verraten wollen) - das Thema Ihrer Arbeit.
Sonst:
Momentan sind wir sponsorenlogoärgerfrei - ich hege ausserdem die Hoffnung, dass sich das mit den Logos irgendwann mal von selbst erledigt. Aber solange der Diskurs über Marken (deren Repräsentanten Logos sind) so konservativ geführt wird, wie selbst in der von mir auch geliebten Brand Eins (Das Prinzip Marke), müssen wir noch warten.
Ihre Zulassung zum Master freut mich. Ich finde auch die Projekte spannend, die auf Ihrer Seite zu sehen sind. Auf meiner Seite ist leider noch nichts zu sehen. Immerhin habe ich mir mittlerweile Grundlagen in CSS/XHTML beigelesen, so dass in absehbarer Zukunft (nach dem 1.0 Release von Textpattern?) vielleicht doch mal so ein standardskonformer Weblog/Portfolio-Mischmasch - wie man das jetzt so macht - auf kuchenbeiser.de erscheint.
<trauermarsch> Und natürlich hab ich mitbekommen *seufz* dass ECM nicht mehr Rune liefert </trauermarsch>
(Kennen Sie eigentlich: "...And You Will Know Us By The Trail Of Dead" - zwar nicht ECM oder Rune - hat uns aber prima aus den post-winterlichen Depressionen hier geholt)
Und äh ... was für ein "Kontrollkaninchen"? Hab ich da irgendwas nicht gecheckt? Wieso steht in Ihrer Mail bei "Sicherheit": Signiert mit so einem Häkchen? Was ist das wieder für ein Trick?
Viele Fragen ... Schreiben Sie!
Herzlicher - lilagrüngestreifter - Ostereiergruß,
Bernd Kuchenbeiser
From: | Kai Bernau |
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Subject: | Re: nach langer zeit |
Date: | March 29, 2005 7:16:58 PM GMT+02:00 |
To: | Bernd Kuchenbeiser |
Sehr geehrter Herr Kuchenbeiser,
zunächst einmal vielen Dank für die rasche Antwort, die Rüge wegen der Kleinbuchstabenschreiberei nehme ich demütig und um Nachsicht bittend an. Eine nicht zu rechtfertigende Schlamperei.
Ebenso gesenkten Hauptes und mit Nachbesserung im Handgepäck komme ich auf die Ihnen gestellten Fragen zurück:
Kurz und gut: Um anständig auf Ihre Frage antworten zu können, brauche ich *Ihre* Definitionen von "neutral" und "gut" - besser noch: einen Kontext (... nur, wenn Sie mirs verraten wollen) - das Thema Ihrer Arbeit.
Ich habe von anderer Seite ganz ähnliche Kritik erhalten, die mich veranlasste, die Fragen etwas zu präzisieren, zumindest den Versuch einer Begriffsklärung zu unternehmen und meine bisherige Arbeit offenzulegen, damit ich nicht weiterhin den Eindruck erwecke, ich würde Sie (und andere) bitten, meine Hausaufgaben zu machen.
auf http://kaibernau.com/neutrality (Jetzt nicht mehr —Ed.) können Sie, wenn Sie weiterhin Interesse haben, eine Erklärung meines Projektes, sowie ein PDF mit meinem Prozess-Buch (darin steht die eigentliche Erklärung) finden; es geht jedenfalls um Schriftgestaltung, und um die Frage, warum wir manche Schriften als neutraler als andere empfinden, und ob und wie sich diese "Neutralität" noch weiter herausarbeiten lässt.
Die wichtigste Frage muss allerdings auch weiterhin lauten: Gibt es Neutralität im Grafikdesign?
Sonst:
Ihre Zulassung zum Master freut mich. Ich finde auch die Projekte spannend, die auf Ihrer Seite zu sehen sind. Auf meiner Seite ist leider noch nichts zu sehen. Immerhin habe ich mir mittlerweile Grundlagen in CSS/XHTML beigelesen, so dass in absehbarer Zukunft (nach dem 1.0 Release von Textpattern?) vielleicht doch mal so ein standardskonformer Weblog/Portfolio-Mischmasch - wie man das jetzt so macht - auf kuchenbeiser.de erscheint.
Vielen Dank für das Lob, und vielen Dank fürs Mitmirfreuen.
XHTML und CSS sind leider Löcher ohne Boden, dass muss ich gerade wieder feststellen: ein neues Design für das uralte Letterlabor funktioniert ganz hervorragend und muss nur noch einem CMS a la Texpattern aufgesetzt werden... wenn man bereit ist, alle Browser außer Safari und Firefox zu vernachlässigen (na gut, Opera, Omniweb, Camino für den Mac haben auch keine groben Darstellungsprobleme, aber WEHE man lässt irgendwas drauf los, das mit Microsoft zu tun hat)
Und äh ... was für ein "Kontrollkaninchen"? Hab ich da irgendwas nicht gecheckt?
Oh, ich habe wie so oft nach dem Schreiben den Anhang vergessen. Hier ist das Kontrollkaninchen -- jetzt, wo Sie ja über mein Projekt bescheid wissen, kann ich auch mehr darüber sagen:
Das Kontrollkaninchen "Normal" ist ein alternativer Entwurf für eine neutrale Schrift, der auf einer alternativen Herangehensweise, nämlich auf ganz naivem Verfolgen der Überzeugungen, der Erfahrungen, des Bacuhgefühls, beruht. Eigentlich sollte ich es in Ruhe sterben lassen, aber wir haben uns schon so schön aneinander gewöhnt -- und außerdem werde ich das Gefühl nicht los, das ich es zu einem späteren Zeitpunkt noch mal, zumindest zum Vergleichen verschiedener Ansätze, verwenden könnte.
Wieso steht in Ihrer Mail bei "Sicherheit": Signiert mit so einem Häkchen? Was ist das wieder für ein Trick?
Ach, das ist nur das Zeichen dafür, dass meine Mails mit einem Zertifikat des Thawte "Web of Trust" freemailer Programms, äh, zertifiziert sind; heisst: Sie können sich sicher sein, dass ich auch wirklich ich bin, und dass diese Email nicht auf dem Weg abgefangen und verändert wurde. Pure Geekerei.
Viele Fragen ...
Schreiben Sie!
Viele Antworten, und viele neue Fragen!
Auf bald!
Kai
From: | Bernd Kuchenbeiser |
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Subject: | neutral? |
Date: | April 3, 2005 3:26:37 PM GMT+02:00 |
To: | Kai Bernau |
Hallo Herr Bernau,
ich habe natürlich nichts gegen Kleinschreibung ;-)
Nachdem Sie nun Ihre Definition von "Neutralität" gegeben haben, muss ich zuerst sagen, dass mich persönlich dieses >absolute< Konzept von "Neutralität" in meiner Arbeit nicht interessiert. Im Gegenteil ich versuche es zu vermeiden. Weder stehe ich meinen Themen neutral gegenüber, noch benutze ich ich neutrale Schriften und diese dann auch nie neutral. Neutralität ist für mich als Designer nur als >relationales< Konzept interessant, das heisst, ich mag es, dem Grellen, Schnellen, Überfüllten und Sattem etwas reduziertes, stilles, und introspektives entgegenzusetzen - was dann so gar nicht mehr neutral ist...
Folgende Gedanken zur Neutralität und Ihrem Draft:
- Schriften in großen Schriftgraden, Schriften über 32pt sind nie neutral
- Ihr Konzept von Neutralität kann ich, wenn überhaupt, nur in einer Lesegröße nachvollziehen (beginnt bei mir bei 7pt und endet bei 9-10pt) und ist für mich extrem auch vom Design abhängig. Sie schreiben, ideal für das Konzept Neutralität wäre es, wenn eine Schrift nur Text wäre, d.h. als Gegenstand nicht wahrnehmbar sondern lediglich mediator. (Literatur: Beatrice Warde: The crystal Goblet !!!) Ich glaube, das kann wenn überhaupt ein guter Gestalter leisten, niemals ein Font als Default. Ich behaupte frech, - eine gewagte These - ich setze Ihnen jede Schrift, (vorausgesetzt sie ist einigermassen vernünftig proportioniert was Buchstabenform und -abstand betrifft) so ruhig, dass Sie sie nicht als "Schrift" im Sinne von Gegen-stand wahrnehmen werden.
- von daher wundere ich mich, dass sie mit dem Vergleich von Buchstabenformen einsteigen - die "lesen" wir doch nicht!
- meine Erfahrung: je prägnanter das Wortbild, je angepriesener ein Schrift als besonders lesbar, besonders humanistisch, besonders universell, desto weniger ruhig und unerträglich das Schriftbild im vernünftigen Satz. Mal ehrlich und unter uns ... wer kann schon eine Gill perfekt setzen (Kill Gill!) - ja, gut, Derek Birdsall werden Sie sagen, vielleicht auch Froshaug - oder Gill selber - alles Engländer - merken Sie was? Die Sprachen ... die humanistischen gehen gut in Englisch, in holländisch - nicht aber in Deutsch (Kill Gill 2)
- nehmen Sie mal die Fedra - was für ein Bastard. Der (ernsthafte?) Versuch die Univers in unsere Zeit zu übersetzen... schrecklich wenig neutral das Vieh...
- ja, das wäre ja allein schon ein Thema für eine Doktorarbeit: Welche Stärke muss der Regular-Schnitt einer Familie haben. Und wie ändert sich das Empfinden hierfür mit den Moden, mit der Zeit. Hier ist die alte Univers unerreicht.
- eine Schrift, die für jeden Verwendungszweck geeignet ist, kann keine gute sein, weil das Kompromiss-Spagat zu groß wäre
- zeitlos ist nicht neutral
- Joseph Kosuth hat derzeit eine Professur in München (sprechen Sie den doch mal)
- also Weiner, Kosuth et al .. die wollen definitiv keine neutrale Schrift sondern eine referentielle, denn Kunst will bei aller Liebe nie unsichtbar sein, oder?
- ja, unsichtbar, das gefällt mir viel besser als neutral. Eine "unsichtbare" Schrift, das wäre was feines. Ist gute Typografie nicht unsichtbar?
- Ihr zweiter Ansatz, Schriften im Mengentext zu vergleichen ist viel besser. Aber wozu brauchen sie das big size n? Und ... äh... räusper ... was soll denn diese mini-schmale Spalte und ich nehme an, die Schriften sind alle default gesetzt... da kann man doch garnichts sehen oder vergleichen - Die tun mir ja fast leid, die armen Schriften. Jede dieser armen Dinger kann man, können Sie, viel besser setzen... viel >neutraler< setzen...
- ich meine, wenn Sie wirklich neutral sein wollen (also so richtig), dürfen Sie um Gottes Willen nicht so neutral sein. Ja, richtig gelesen. Die ganze Wissenschaftlichkeit Ihrer Untersuchung beruht in meiner Sicht, auf der wackeligen Säule einer unscharfen Überlagerung von Mikro- und Makrodesignphänomenen.
- jetzt verstehen Sie mich aber nicht falsch. Ihr Thema ist hochspannend. Ihr Wissen ist groß. Aber bringen Sie es nicht in Form von Wissenschaftlichkeit an den Mann sondern in Form von Schriftgestalt. Wenn Sie wirklich eine Neutralität wollen, würde ich mich mit EINER Schrift beschäftigen - vielleicht eine, die Ihre Neutralitätsprämissen erfüllt (und die Sie vor allem wirklich mögen) und vielleicht versuchen, diese noch ruhiger, zeitgemäßer, neutraler - was immer zu machen.
- Ist Ihre Schrift nicht die Akzidenz?
- Mit Schriften ist das wie mit Beziehungen - man muss sich erst kennenlernen, in Stärken und Schwächen um sich dann zu arrangieren, auch im Widerstand zu Macken und Fehlern. Ich wechsle doch auch nicht alle paar Monate die Partnerin oder den Partner. Und falls doch, hätte ich das Konzept von Lebensgemeinschaft und Liebe verstanden? Ein bisschen genauso ist das doch mit Schriften.
- von daher weiss ich garnicht, ob die perfekte, im positiven Sinne neutrale Schrift überhaupt wünschenswert wäre. Brauche ich als Gestalter nicht auch die Reibung mit der Schrift?
- nochmals: meine Kritik beinhaltet allergrößten Respekt, vor dem, was Sie da schon aufgeschrieben und ausgeführt haben, wenn ich auch nicht unbedingt in allem mit Ihnen d’acccord bin. Und ich bin mächtig gespannt auf das Ergebnis.
- und was ich auch mächtig spannend fände: eine "neutrale" Serif!
Wieso steht in Ihrer Mail bei "Sicherheit": Signiert mit so einem Häkchen? Was ist das wieder für ein Trick?
Ach, das ist nur das Zeichen dafür, dass meine Mails mit einem Zertifikat des Thawte "Web of Trust" freemailer Programms, äh, zertifiziert sind; heisst: Sie können sich sicher sein, dass ich auch wirklich ich bin, und dass diese Email nicht auf dem Weg abgefangen und verändert wurde. Pure Geekerei.
bei mir wissen Sie, dass ich das auch wirklich bin, wenn die E-Mail, harte aber nettgemeinte Kritik enthält *gg
Halten Sie mich auf dem Laufenden und sagen Sie mir, ob Sie mit dem Gedankenwirrwarr etwas anfangen konnten...
Herzlicher Gruß,
Bernd Kuchenbeiser
From: | Kai Bernau |
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Subject: | Re: neutral? |
Date: | April 5, 2005 6:28:18 PM GMT+02:00 |
To: | Bernd Kuchenbeiser |
lieber herr kuchenbeiser,
danke für ihre mail, die ich nun nach bestem wissen beantworten werde
Nachdem Sie nun Ihre Definition von "Neutralität" gegeben haben, muss ich zuerst sagen, dass mich persönlich dieses >absolute< Konzept von "Neutralität" in meiner Arbeit nicht interessiert. Im Gegenteil ich versuche es zu vermeiden. Weder stehe ich meinen Themen neutral gegenüber, noch benutze ich ich neutrale Schriften und diese dann auch nie neutral. Neutralität ist für mich als Designer nur als >relationales< Konzept interessant, das heisst, ich mag es, dem Grellen, Schnellen, Überfüllten und Sattem etwas reduziertes, stilles, und introspektives entgegenzusetzen - was dann so gar nicht mehr neutral ist...
das find ich schön; ich hoffe, ich krieg noch ein paar so antworten. frage dazu:
In Ihrer Arbeit verwenden Sie sehr häufig die Univers. Da Sie aber sagen, Sie verwenden keine "neutralen Schriften", als was würden Sie denn die Univers dann bezeichnen, vor allem im Gegensatz zu stilistisch sehr vordergründigen, "charakterhaltigen" Schriften?
- Schriften in großen Schriftgraden, Schriften über 32pt sind nie neutral
Also gibt es keine Plakate mit neutralen Schriften? Ich halte diesen Ihren Ausspruch für wesentlich (no pun intended) plakativer und vielleicht polemischer und pauschaler als den Rest Ihrer wohldurchdachten Antworten...
- Ihr Konzept von Neutralität kann ich, wenn überhaupt, nur in einer Lesegröße nachvollziehen (beginnt bei mir bei 7pt und endet bei 9-10pt) und ist für mich extrem auch vom Design abhängig. Sie schreiben, ideal für das Konzept Neutralität wäre es, wenn eine Schrift nur Text wäre, d.h. als Gegenstand nicht wahrnehmbar sondern lediglich mediator. (Literatur: Beatrice Warde: The crystal Goblet !!!) Ich glaube, das kann wenn überhaupt ein guter Gestalter leisten, niemals ein Font als Default. Ich behaupte frech, - eine gewagte These - ich setze Ihnen jede Schrift, (vorausgesetzt sie ist einigermassen vernünftig proportioniert was Buchstabenform und -abstand betrifft) so ruhig, dass Sie sie nicht als "Schrift" im Sinne von Gegen-stand wahrnehmen werden.
Ja, Beatrice Warde habe ich gelesen, aber Sie vermischen zweierlei Dinge die zwar untrennbar miteinander verbunden, aber nicht das gleiche sind, nämlich Schrift und Typografie.
- von daher wundere ich mich, dass sie mit dem Vergleich von Buchstabenformen einsteigen - die "lesen" wir doch nicht!
Haben Sie nicht gerade unter dem vorhergehenden Gedankenstrich gesagt, dass eine Voraussetzung für eine neutrale -- nach Ihrem Verständnis also eine "gute" -- Schrift "einigermassen vernünftig proportioniert was Buchstabenform und -abstand betrifft" sein muss?
Und außerdem: Aus rein pragmatischen Gründen. Ich glaube, von vorneherein einen Grauwert oder so festzulegen funktioniert nicht nur bei Schriftgestaltung nicht, sondern ist auch schon wieder Typografie.
Meine Vorgehensweise geht aber auf jeden Fall von "außen" nach innen; Erst wird untersucht, welche Schriftengattungen und -untergruppen etwas sind, das ich weiterhin neutral nennen möchte, und anhand meiner Fragen nicht nur nicht für die jeweils als Beispiel verwendete Schrift, sondern auch nicht für Einzelbuchstaben bewertet (wobei Merkmale in Einzelbuchstaben, Klitzekleinigkeiten, enormen Einfluss auf die Lesbarkeit haben, das wird Ihnen auch der weiter unten aufgeführte Froshaug belegen), dann werden Gemeinsamkeiten gesucht, vergleiche bezüglich wichtiger Faktoren -- die gerade den Grauwert und andere Lesbarkeitsparameter betreffen -- angestellt usw.
- meine Erfahrung: je prägnanter das Wortbild, je angepriesener ein Schrift als besonders lesbar, besonders humanistisch, besonders universell, desto weniger ruhig und unerträglich das Schriftbild im vernünftigen Satz. Mal ehrlich und unter uns ... wer kann schon eine Gill perfekt setzen (Kill Gill!) - ja, gut, Derek Birdsall werden Sie sagen, vielleicht auch Froshaug - oder Gill selber - alles Engländer - merken Sie was? Die Sprachen ... die humanistischen gehen gut in Englisch, in holländisch - nicht aber in Deutsch (Kill Gill 2)
"besonders universell, desto weniger ruhig und unerträglich das Schriftbild" - zum Beispiel die Univers? Ich mag die Gill sehr gerne, weil sie ein bisschen zickig ist (und die Futura aus gleichem Grund)...
- ja, das wäre ja allein schon ein Thema für eine Doktorarbeit: Welche Stärke muss der Regular-Schnitt einer Familie haben. Und wie ändert sich das Empfinden hierfür mit den Moden, mit der Zeit. Hier ist die alte Univers unerreicht.
Ach? Welcher Schnitt? ich fand die 55 immer ein bisschen fett, aber das kann auch am Laser liegen. Und weil "ändert sich das Empfinden hierfür mit den Moden, mit der Zeit", WANN ist sie unerreicht (gewesen)?
- eine Schrift, die für jeden Verwendungszweck geeignet ist, kann keine gute sein, weil das Kompromiss-Spagat zu groß wäre
Ja? Für was eignet sich die Univers denn nicht (außer für Dinge, wo wir einen starken eigencharacter der Schrift wünschen, Hochzeitseinladung oder was)
- zeitlos ist nicht neutral
Mehr als etwas einer bestimmten Zeit verbundenes, oder? Aber Sie haben natürlich nicht ganz unrecht: Neutralität ist ja nur die soziale Übereinkunft einer Gruppe, und das vor deren zeitlichen, räumlichen, modischen, technischen, kulturellen und intellektuellen Hintergrund. Neutralität *kann* also gar nicht wirklich zeitlos sein -- Man stelle sich ein mittelalterliches Manuskript, Pergament, vor, in dem ein Mönch eine Helvetica von Hand malt. Oder ein Liebesbrief mit Rosendurf und Akzidenz Grotesk.
- Joseph Kosuth hat derzeit eine Professur in München (sprechen Sie den doch mal)
ach, der hat da glaube ich keinen Geist für. Diese "zero and not" Geschichte über Freud, liebloseste (aber wenigstens durchgestrichene) ITC-pseudo-Garamond.
- also Weiner, Kosuth et al .. die wollen definitiv keine neutrale Schrift sondern eine referentielle, denn Kunst will bei aller Liebe nie unsichtbar sein, oder?
mmmm.
Kosuth zitierend: "Conceptual art, simply put, had as its basic tenet an understanding that artists work with meaning, not with shapes, colours, or materials." (1996 hat er das gesagt, also kann man nicht behaupten das sei alter gestriger Käse)
und Weiner: "1. The artist may construct the work 2. The work may be fabricate 3. The work need not be built Each being equal and consistent with the intent of the artist The decision as to condition rests with the receiver upon the occasion of receivership" auch das stand auf dem Eingang einer 1996er Installation von ihm (After All/Nach Alles, Berlin(?))
Also *behaupten* ja beide, sich nichts aus der visuellen Repräsentation zu machen. Auch wenn das in Weiners Fall vielleicht nicht ganz stimmt, der hat ja immer die Franklin Bold Condensed. Werde versuchen ihn mal zu fragen, warum. Und ihm dann meine Schrift anbieten :-)
- ja, unsichtbar, das gefällt mir viel besser als neutral. Eine "unsichtbare" Schrift, das wäre was feines. Ist gute Typografie nicht unsichtbar?
Ja stimmt. Unsichtbar ist gut. Hört sich aber leider zu sehr nach "weiße Schrift auf weißem Grund" an.
- Ihr zweiter Ansatz, Schriften im Mengentext zu vergleichen ist viel besser. Aber wozu brauchen sie das big size n? Und ... äh... räusper ... was soll denn diese mini-schmale Spalte und ich nehme an, die Schriften sind alle default gesetzt... da kann man doch garnichts sehen oder vergleichen - Die tun mir ja fast leid, die armen Schriften. Jede dieser armen Dinger kann man, können Sie, viel besser setzen... viel >neutraler< setzen...
Sie sahen eine publicatio praecox, das ist natürlich ein bisschen besser jetzt. Aber die nominale Größe und den einheitlichen Zab möchte ich beibehalten.
- ich meine, wenn Sie wirklich neutral sein wollen (also so richtig), dürfen Sie um Gottes Willen nicht so neutral sein. Ja, richtig gelesen. Die ganze Wissenschaftlichkeit Ihrer Untersuchung beruht in meiner Sicht, auf der wackeligen Säule einer unscharfen Überlagerung von Mikro- und Makrodesignphänomenen.
Meiner Auffasssung sind Mikro- und Makro bei der Schriftengestaltung viel zu eng verknüpft. Auch wieder: Froshaug. Und: Smeijers. Und: Unger. Sachen, die sehen Sie erst wirklich in "Schaugrößen", und sie machen trotzdem viel aus in Lesegrößen.
Und neutral bin ich ja ohnehin nicht, kann ich ja auch gar nicht sein. Ich muss ja irgendwo Abkürzen beim vergleichen, beim parametrisieren und messen: Ich muss ja die neutrale Schrift dann auch noch BAUEN!
- jetzt verstehen Sie mich aber nicht falsch. Ihr Thema ist hochspannend. Ihr Wissen ist groß. Aber bringen Sie es nicht in Form von Wissenschaftlichkeit an den Mann sondern in Form von Schriftgestalt. Wenn Sie wirklich eine Neutralität wollen, würde ich mich mit EINER Schrift beschäftigen - vielleicht eine, die Ihre Neutralitätsprämissen erfüllt (und die Sie vor allem wirklich mögen) und vielleicht versuchen, diese noch ruhiger, zeitgemäßer, neutraler - was immer zu machen.
Ja. Das ist nicht so rübergekommen, was, das ich genau das dann mache? eine "neutrale" Schrift?
- Ist Ihre Schrift nicht die Akzidenz?
Doch. Es geht am Ende ja auch gar nicht um die Schrift. Das ganze ist ein bisschen Tao (weil der Weg ungleich wichtiger ist als das Ziel) und ein bisschen Zen (the sound of one hand clapping) und ein bisschen Rumgeträume.
- von daher weiss ich garnicht, ob die perfekte, im positiven Sinne neutrale Schrift überhaupt wünschenswert wäre. Brauche ich als Gestalter nicht auch die Reibung mit der Schrift?
gibt ja gar keine perfekte und gar keine neutrale schrift, und selbst wenn das eine theoretisch vorstellbar wäre, würde es das andere ausschließen ;-)
- nochmals: meine Kritik beinhaltet allergrößten Respekt, vor dem, was Sie da schon aufgeschrieben und ausgeführt haben, wenn ich auch nicht unbedingt in allem mit Ihnen d’acccord bin. Und ich bin mächtig gespannt auf das Ergebnis.
und ich erst! ich bedanke mich für die spannenden Gedanken, und halte Sie auf dem Laufenden. Bitte schauen: http://kaibernau.com/neutrality.php es gibt permanent updates.
- und was ich auch mächtig spannend fände: eine "neutrale" Serif!
Times New Roman :-)
der Rest Ihrer Mail muss aus Zeitgründen später beantwortet werden, insofern schon mal bis bald! grüße
kai
From: | Bernd Kuchenbeiser |
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Subject: | Neu-tral |
Date: | April 25, 2005 1:49:57 PM GMT+02:00 |
To: | Kai Bernau |
Lieber Herr Bernau,
es wird mal wieder Zeit für ein paar Antworten. In der Zwischenzeit mussten schnell zwei Präsentationen fertig werden. Nächtes mal antworte ich schneller (gute Vorsätze), sonst ist die Luft oder Relevanz raus.
Ihre Schrift hat im Moment ein bisschen Verwandtschaft mit der Akkurat von Lineto, oder? Auch FF Bau comes to my mind....
In Ihrer Arbeit verwenden Sie sehr häufig die Univers. Da Sie aber sagen, Sie verwenden keine "neutralen Schriften", als was würden Sie denn die Univers dann bezeichnen, vor allem im Gegensatz zu stilistisch sehr vordergründigen, "charakterhaltigen" Schriften?
Die Univers ist ja referentiell schon stark mit der Schweizer Typografie der Basler Schule verbunden. Das gibt so einen Wohlfühleffekt, eine Wärme her, das könnte eine "neutrale" Schrift nicht. Damit das ganze aber nicht nostalgisch wird, versuche ich die Univers, oder besser den "Bastard" den ich da verwende (Zurich) schon mit einer persönlichen Sicht zu setzen. Sicher richtig ist, dass die Univers besser im Schweigen ist, als andere vermeintlich selbstbewusstere Schriften. Ich würde die Univers als leise Schrift bezeichnen (aber mit Charakter), wie mir beim Betrachten von Typografie sowieso Adjektive aus der Musik näher liegen, als aus anderen Bereichen wie Politik etc.. (neutral...). Ich habe übrigens auch nichts gegen stilistisch vordergründiges, wenn es gut gemacht ist. Nur komme ich damit in meiner Arbeit nicht weiter.
- Schriften in großen Schriftgraden, Schriften über 32pt sind nie neutral
Also gibt es keine Plakate mit neutralen Schriften? Ich halte diesen Ihren Ausspruch für wesentlich (no pun intended) plakativer und vielleicht polemischer und pauschaler als den Rest Ihrer wohldurchdachten Antworten...
Aber je länger ich darüber nachdenke vielleicht auch umso richtiger...;-) Zeigen Sie mir doch mal ein (typografisches) Plakat mit einer neutralen Schrift... Weil ich da gerade Uwe Loesch gelesen habe ... auf Ihrer Seite - auf keinem seiner Plakate findet sich neutrale Schrift oder Typografie - Oder noch extremer: sind Jetsets Theaterkompanie-Plakate neutral? Kein bisschen - die Schrift, hier Helvetica ist sogar fast (sicher im besten Sinne) "ornamental" verwendet. - Weil ich ab einer bestimmten Schriftgröße Formen und nicht mehr Text wahrnehme.
- Ihr Konzept von Neutralität kann ich, wenn überhaupt, nur in einer Lesegröße nachvollziehen (beginnt bei mir bei 7pt und endet bei 9-10pt) und ist für mich extrem auch vom Design abhängig. Sie schreiben, ideal für das Konzept Neutralität wäre es, wenn eine Schrift nur Text wäre, d.h. als Gegenstand nicht wahrnehmbar sondern lediglich mediator. (Literatur: Beatrice Warde: The crystal Goblet !!!) Ich glaube, das kann wenn überhaupt ein guter Gestalter leisten, niemals ein Font als Default. Ich behaupte frech, - eine gewagte These - ich setze Ihnen jede Schrift, (vorausgesetzt sie ist einigermassen vernünftig proportioniert was Buchstabenform und -abstand betrifft) so ruhig, dass Sie sie nicht als "Schrift" im Sinne von Gegen-stand wahrnehmen werden.
Ja, Beatrice Warde habe ich gelesen, aber Sie vermischen zweierlei Dinge die zwar untrennbar miteinander verbunden, aber nicht das gleiche sind, nämlich Schrift und Typografie.
Natürlich betrachtet auch die Musikwissenschaft gern Kompositionen unabhängig von Ihrer Aufführung, was ich persönlich für ziemlich unrelevant halte, da sich die Musik nicht auf Notenpapier ereignet sondern im Moment Ihrer Performance und erst dann zum sinnlich nachvollziehbaren Erlebnis wird. Es gibt keine per se guten oder schlechten Schriften - sondern nur gut oder schlecht aufgeführte... Ich gebe gerne zu, dass manches so minderwertig ist, dass es nicht aufgeführt werden muss... Aber gerade im vermeintlich neutralen kulminiert das. Es gibt z.B. von Pärt so richtig doofe Partituren, langweilig für den Musikwissenschaftler, aber geradezu mystisch im Erlebnis der Aufführung. Ausserdem richtet ein Provinzorchester jede Komposition zugrunde.
- von daher wundere ich mich, dass sie mit dem Vergleich von Buchstabenformen einsteigen - die "lesen" wir doch nicht!
Haben Sie nicht gerade unter dem vorhergehenden Gedankenstrich gesagt, dass eine Voraussetzung für eine neutrale -- nach Ihrem Verständnis also eine "gute" -- Schrift "einigermassen vernünftig proportioniert was Buchstabenform und -abstand betrifft" sein muss?
Und außerdem: Aus rein pragmatischen Gründen. Ich glaube, von vorneherein einen Grauwert oder so festzulegen funktioniert nicht nur bei Schriftgestaltung nicht, sondern ist auch schon wieder Typografie.
Meine Vorgehensweise geht aber auf jeden Fall von "außen" nach innen; Erst wird untersucht, welche Schriftengattungen und -untergruppen etwas sind, das ich weiterhin neutral nennen möchte, und anhand meiner Fragen nicht nur nicht für die jeweils als Beispiel verwendete Schrift, sondern auch nicht für Einzelbuchstaben bewertet (wobei Merkmale in Einzelbuchstaben, Klitzekleinigkeiten, enormen Einfluss auf die Lesbarkeit haben, das wird Ihnen auch der weiter unten aufgeführte Froshaug belegen), dann werden Gemeinsamkeiten gesucht, vergleiche bezüglich wichtiger Faktoren -- die gerade den Grauwert und andere Lesbarkeitsparameter betreffen -- angestellt usw.
Eine vernünftige Antwort darauf bedürfte eines Gegenbeweises und den kann ich gerade nicht erbringen. Ich glaube aber schon - und das würde mich persönlich interessieren - dass man auch den Weg vom Grauwert also vom Unscharfen, Abstrakten zur Buchstabenform, zum Konreten gehen kann ...
- meine Erfahrung: je prägnanter das Wortbild, je angepriesener ein Schrift als besonders lesbar, besonders humanistisch, besonders universell, desto weniger ruhig und unerträglich das Schriftbild im vernünftigen Satz. Mal ehrlich und unter uns ... wer kann schon eine Gill perfekt setzen (Kill Gill!) - ja, gut, Derek Birdsall werden Sie sagen, vielleicht auch Froshaug - oder Gill selber - alles Engländer - merken Sie was? Die Sprachen ... die humanistischen gehen gut in Englisch, in holländisch - nicht aber in Deutsch (Kill Gill 2)
"besonders universell, desto weniger ruhig und unerträglich das Schriftbild" - zum Beispiel die Univers? Ich mag die Gill sehr gerne, weil sie ein bisschen zickig ist (und die Futura aus gleichem Grund)...
Die Gill ist bei Birdsall oder Froshaug nicht zickig. Sondern ziemlich perfekt - aber die beiden setzen ja auch in ENGLISCH.
Ach? Welcher Schnitt? ich fand die 55 immer ein bisschen fett, aber das kann auch am Laser liegen. Und weil "ändert sich das Empfinden hierfür mit den Moden, mit der Zeit", WANN ist sie unerreicht (gewesen)?
Mit ist die Linotype Univers 55 oder die Bitstream Zurich regular mittlerweile zu wenig fett. Für ein aktuelles Projekt verwende ich die Linotype Univers 530, modifiziert in Schriftbreite. Die wirkt dann so ähnlich wie ein Bleisatzergebnis aus den 60er Jahren, z.B. wie in Ruders Typografie (Originalausgabe). Da finde ich die Univers großartig. Die Tendenz - das sieht man auch bei serifenbetonten geht allgemein Richtung fetterer Grundschrift, vielleicht weil die Zeiten so mager sind?
- eine Schrift, die für jeden Verwendungszweck geeignet ist, kann keine gute sein, weil das Kompromiss-Spagat zu groß wäre
Ja? Für was eignet sich die Univers denn nicht (außer für Dinge, wo wir einen starken eigencharacter der Schrift wünschen, Hochzeitseinladung oder was)
Die Univers wirkt schon sehr perfekt. Wenn man einen etwas improvisierteren Charakter haben möchte, dann ist die Univers schnell man zu elegant, für meinen Geschmack. So richtig rough wie eine Akzidenz beispielsweise wird die Univers nie...
- zeitlos ist nicht neutral
Mehr als etwas einer bestimmten Zeit verbundenes, oder? Aber Sie haben natürlich nicht ganz unrecht: Neutralität ist ja nur die soziale Übereinkunft einer Gruppe, und das vor deren zeitlichen, räumlichen, modischen, technischen, kulturellen und intellektuellen Hintergrund. Neutralität *kann* also gar nicht wirklich zeitlos sein -- Man stelle sich ein mittelalterliches Manuskript, Pergament, vor, in dem ein Mönch eine Helvetica von Hand malt. Oder ein Liebesbrief mit Rosendurf und Akzidenz Grotesk.
Also über den Liebesbrief könnten wir ja noch sprechen...
- Ihr zweiter Ansatz, Schriften im Mengentext zu vergleichen ist viel besser. Aber wozu brauchen sie das big size n? Und ... äh... räusper ... was soll denn diese mini-schmale Spalte und ich nehme an, die Schriften sind alle default gesetzt... da kann man doch garnichts sehen oder vergleichen - Die tun mir ja fast leid, die armen Schriften. Jede dieser armen Dinger kann man, können Sie, viel besser setzen... viel >neutraler< setzen...
Sie sahen eine publicatio praecox, das ist natürlich ein bisschen besser jetzt. Aber die nominale Größe und den einheitlichen Zab möchte ich beibehalten.
Man kann uns muss ja auch anderer Meinung sein ;-) Aber ihr Vergleich dieser kleinen Mini-Bildunterschriften-Textchen sagt mir persönlich nun nicht so viel ...
- ich meine, wenn Sie wirklich neutral sein wollen (also so richtig), dürfen Sie um Gottes Willen nicht so neutral sein. Ja, richtig gelesen. Die ganze Wissenschaftlichkeit Ihrer Untersuchung beruht in meiner Sicht, auf der wackeligen Säule einer unscharfen Überlagerung von Mikro- und Makrodesignphänomenen.
Meiner Auffasssung sind Mikro- und Makro bei der Schriftengestaltung viel zu eng verknüpft. Auch wieder: Froshaug. Und: Smeijers. Und: Unger. Sachen, die sehen Sie erst wirklich in "Schaugrößen", und sie machen trotzdem viel aus in Lesegrößen.
Und neutral bin ich ja ohnehin nicht, kann ich ja auch gar nicht sein. Ich muss ja irgendwo Abkürzen beim vergleichen, beim parametrisieren und messen: Ich muss ja die neutrale Schrift dann auch noch BAUEN!
Wie gespannt ich darauf bin!
- und was ich auch mächtig spannend fände: eine "neutrale" Serif!
Times New Roman :-)
Wie dringend ich die bräuchte!!!
im übrigen habe ich, weil zumindest die proportionen jetzt feststehen, schon mal grob mit der (echten) neutralen schrift angefangen, sieht zwar noch schlimm aus, aber doch einigermaßen "langweilig", und das ist ja absicht.
für meine diplomarbeit würde ich gerne noch etwas anderes machen als dieses buch*, und wollte deswegen ausgewählte bewunderte und/oder befreundete gestalter fragen, mit dieser schrift dann ein Plakat zu entwerfen -- für einen reellen Auftrag, Eigenwerbung, das Thema "Neutralität" thematisierend, alles ist erlaubt, außer zwei sachen: Referenz zu der Schrift/meiner Diplomarbeit und Plakate über die Neutralität der Schweiz. Letzteres weils da schon eins gibt, ersteres wegen des Ausstellungskonzeptes, das ich ihnen hier hintendran hänge.
Und da würde ich Sie recht unterwürfig fragen wollen, ob Sie Zeit und Lust hätten, mitzuspielen.
ja sicher, gern mach ich da mit... Nur bitte ohne enge Deadline ;-)
* wie fänden Sie das eigentlich, wenn das Buch aufhört, wenn "genug" Parameter versammelt sind, und ohne die Entstehungsgeschichte der Schrift dann noch aufzuzeigen, ohne Schriftmuster etc? (Natürlich, und das ist doch der Witz, ist angestrebt das Buch am Ende aus der NEUTRALEN SCHRIFT zu setzen.) Tolle idee, dumme idee?
Dramaturgisch sicher interessant... aber genauso interessant wäre es natürlich, auch etwas über die Entstehungsgeschichte der Schrift zu erfahren...
Herzlicher Gruß,
Bernd Kuchenbeiser
From: | Bernd Kuchenbeiser |
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Subject: | Neu-tral |
Date: | June 16, 2005 5:06:21 PM GMT+02:00 |
To: | Kai Bernau |
Lieber Kai,
ihre Schrift hätte Fronzoni sicher gefallen.
Schon bei meinen ersten Versuchen mit der «Neutral» war klar, dass ich etwas über Fronzoni mache. - Das hat der maestro, quasi durch mich hindurch entschieden und eingefordert (und gestaltet?) ;-).
Mein Plakat ist die typografische Interpretation eines Gedichts von Salvatore Quasimodo (Literaturnobelpreisträger 1959) - eines von Fronzonis Lieblingsgedichten - als Hommage an einen niemals Neutralen.
Holprig übersetzt liest es sich etwa so:
-- Und schon ist es Abend
Jeder steht allein auf dem Nährgrund der Erde Getroffen von einem Strahl der Sonne: Und schon ist es Abend
Salvatore Quasimodo Aus der Sammlung Acque e terre (Meere und Länder), entstanden in den Jahren 1920 bis 1929. --
Ich überlege, ob ich das Fronzoni-Buch, das endlich Wahrheit werden soll, aus der «Neutral» setze...
Anbei folgende Daten: - Quark 6.5 Dokument (Bilder: keine; Schrift: Neutral), plus 3mm Beschnitt, als .sitx - PDF (ohne Beschnitt)
Sollte man das Schwarz aus 40&C und 100%K anlegen? Ich kanns nicht einschätzen, was der Drucker bei der Einstellung 100% Schwarz (wie im Dokument) tut. Ich hätte gern, ein sehr sattes und tiefes Schwarz. Aber eben keine rausblitzenden Farben am Rand der Schrift - Sie haben sicher mehr Erfahrung mit dem Plotter. Das herausgehobene «ag» ist in 100% Gelb angelegt.
Bei Fragen oder Problemen mit dem Datenzeugs bitte einfach mailen. Ich grüße Sie herzlich und wünsche viel Erfolg!
Bernd Kuchenbeiser